Home / Archive / 3/2021 / Bader, Schwester, Hebamme: Schröpfköpfe und Hochfrequenzstrahl-Apparat in der Alltagspraxis nicht-ärztlicher Heilberufe
Document Actions

lost & found

Bader, Schwester, Hebamme: Schröpfköpfe und Hochfrequenzstrahl-Apparat in der Alltagspraxis nicht-ärztlicher Heilberufe

  1. PD Dr. Sabine Schlegelmilch ORCID iD Institut für Geschichte der Medizin, Julius Maximilians-Universität

Abstract

Der Beitrag untersucht den pflegegeschichtlichen Hintergrund zweier Objekte, die als Zufallsfund auf dem Dachboden einer Familie aufgetaucht sind, zu deren Vorfahren eine Hebamme und eine Krankenschwester gehören. Es handelt sich bei den Objekten aus dem Behandlungsalltag dieser zwei Frauen um ein Set Schröpfköpfe und einen sogenannten Hochfrequenzstrahlapparat. Letzterer wurde bislang in der Forschung hauptsächlich als ein Lifstyle-Produkt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dessen Wunsch nach gesundheitlicher Selbstversorgung dargestellt. Der Beitrag zeigt nun anhand von Aussagen aus den Familien der Behandelnden, dass die Behandlung mit Schröpfköpfen wie auch die mit dem HFS-Apparat bis in die 1950er Jahre hinein Teil der (ärztlich verordneten) physikalischen Therapie war. Es wird sichtbar, dass die Grenzen zwischen den Behandlungspraktiken nicht-ärztlicher Heilberufe wie Hebammen, Krankenschwestern und Badern nicht scharf zu ziehen sind. Für die zukünftige Forschung zu medizingeschichtlichen Objekten gibt dieses Ergebnis den methodischen Impuls, bei der Quellenarbeit nicht vorschnell beschränkende Zuordnungen zu einzelnen Heilberufen vorzunehmen.

Keywords

Also available in

1. 1 Ein Zufallsfund

Als Folge von Ausgangs-, Kontakt- und Quarantänebeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie entdeckten viele Menschen im Jahr 2020 in ihrem privaten Wohnumfeld plötzlich Keller, Speicher, Abstellkammern und andere Verstecke lange ausgesonderter und dann vergessener Alltagsgegenstände als Betätigungsfeld: man nutzte die Zeit, es wurde „ausgemistet“. Im bayerischen Spessart förderte eine solche Aufräumaktion auf einem Dachboden einen abgestoßenen alten Koffer und einen Behälter mit Glasobjekten zutage.

Abb. 1 Außenansicht des Koffers

Abb. 2 Blick ins Kofferinnere

Beides befindet sich nun als Objektspende in den Medizinhistorischen Sammlungen des Instituts für Geschichte der Universität Würzburg.

Der Koffer ist aus leichtem Holz gefertigt, an Vorder- und Rückseite mit einem in Krokodillederoptik geprägten, dunkelbraunen Papier überzogen und an den Schmalflächen sowie den Kanten mit stabilem Textilklebeband gleicher Optik stabilisiert. Mit 41x27x11cm Kantenlänge und einem Gewicht von nur drei Kilogramm könnte man ihn als „leichtes Gepäck“ bezeichnen, entspricht er doch in seiner Optik mit dem blankgeriebenen, geriffelten Plastikgriff und den vernickelten, nun grünlich angelaufenen kleinen Schnappschlössern tatsächlich kleinem Übernachtungsgepäck aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da er keinerlei Beschriftung trägt, offenbart erst ein Blick in sein Innenleben, dass es sich hierbei um einen sogenannten Hochfrequenzstrahlapparat handelt, in diesem Falle einen der Velmag (Vereinigte Fabriken elektrischer Messinstrumente und Apparate, GmbH) mit dem Produktnamen „Frequenta“. In dem mit dunkelviolettem Samt ausgeschlagenen Koffer finden sich neben einem abgeteilt eingelagerten, herausnehmbaren Generatoreinsatz mit zwei schwarzen Stoffkabeln (daran befestigt ein zweipoliger Keramikstecker und ein Elektrodenhalter aus schwarzem Bakelit) noch insgesamt 14 Elektroden verschiedenster Form in Halterklammern. Ein illustrierter Werbekatalog der Firma erlaubt die Identifizierung des Apparats als erweiterte Version des Modells G von 1928. [1]

Abb. 3: Schröpfköpfe, paarweise aufgestellt

Abb. 4: Schröpfköpfe, Detail

Bei den separat aufgefundenen Gläsern handelt es sich um 19 kleine Schröpfköpfe von einheitlich 4 cm Durchmesser, sechs davon aus dickem grünen, sechs aus dünnerem bläulichem und vier aus weißem Glas. Dazu kommt ein Solitär aus besonders dickem Glas mit Luftblaseneinschluss. Alle zeigen deutliche Grate als Zeichen industrieller Fertigung, die aus weißem Glas zudem eine kleine kreisförmige Prägung auf der Oberseite. Sie könnte darauf hinweisen, dass dasselbe Modell auch mit einer Ausbohrung und aufgesetztem Gummiball zum Erzeugen des Vakuums vertrieben worden sein könnte. [2] Es ist kein Herstellername zu finden, eine Datierung nur über die Lebenszeit der Anwenderinnen möglich.

Hochfrequenzstrahlapparate wurden ab den 1920er Jahren in großer Stückzahl hergestellt und werden medizinhistorischen Museen und Sammlungen noch heute regelmäßig angeboten. [3] Die Geschichte dieser Objekte kann jedoch nur selten noch rekonstruiert werden. Da die HFS-Apparate explizit auch für den Heimgebrauch durch den medizinischen Laien gefertigt wurden [4] – die äußerlich bewusst neutral gehaltene Lederoptik und die dunkle Samtausstattung im Inneren unseres Objekts verweisen ihrerseits auf diese private, bürgerliche Sphäre – zählten sie wie vieles andere, was schließlich auf dem Speicher oder im Keller landete, zu den Alltagsgegenständen, deren Gebrauch in den Familien nicht als außergewöhnlich wahrgenommen und damit auch kaum generationenübergreifend thematisiert wurde. Schröpfköpfe hingegen gehören gewöhnlich nicht zu den Fundstücken aus Privathaushalten, ihr Zusammenhang mit dem HFS-Apparat scheint rätselhaft. Das ungewöhnliche Fundkonvolut verweist, wie im Folgenden zu sehen sein wird, auf die Geschichte der ambulanten Krankenpflege und anderer nicht-ärztlicher Heilberufe im 20. Jahrhundert.

Abb. 5: Bronisława Sloma in ihrer Hebammentracht

2. 2 Die Geschichte der Objekte

Die Provenienzgeschichte erzählt zunächst von der beruflichen Tätigkeit der Großmutter wie auch der Mutter der Objektspenderin. [5] Deren Großmutter, Bronisława Sloma, wurde 1902 im schlesischen Pyskowice (damals Peiskretscham) geboren. Sie absolvierte eine Ausbildung als Hebamme; da sich im nahegelegenen Opole (Oppeln) seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis 1933 eine Provinzial-Hebammenlehranstalt befand, ist es wahrscheinlich, dass sie hier ausgebildet wurde. Sie war zuerst in ihrer Heimatstadt, [6] nach ihrer Übersiedlung nach Westdeutschland ab 1958 in Hamburg als Hebamme tätig. Ein Foto im Familienalbum zeigt Bronisława Sloma in ihrer Tracht. Die Familiengeschichte weiß bezüglich der Schröpfköpfe zu berichten, dass auch sie schon mit ihnen arbeitete. Dies ist deswegen ein interessantes Detail, weil es auf eine Praktik verweist, die wohl aus der Überschneidung von Hebammentätigkeit und Krankenpflege resultierte. Diese dokumentiert das Preußische Hebammenlehrbuch, mit dem sie selbst ausgebildet worden sein dürfte, jedoch nicht. Hier wird zwar darauf hingewiesen, dass auch Hebammen die Grundlagen der Krankenpflege beherrschen müssten („Es ist nicht ihre Aufgabe [d.h. der Hebamme, Anm. d. Verf.], den Beruf einer Krankenpflegerin auszuüben. […] Trotzdem ist es für sie als Helferin der Schwangeren, Gebärenden, Wöchnerinnen und Neugeborenen notwendig, daß sie die wichtigsten Regeln der Krankenpflege kennenlernt“) [7]. Das Hebammenlehrbuch beschränkt sich bezüglich der „besonderen Hilfeleistungen“ der Krankenpflege jedoch auf das Katheterisieren, Spritzen, auf Einläufe, Spülungen, Bäder, kühlende und wärmende Umschläge und das Zubereiten von Tee. Die Tropfnarkose als Assistenzleistung wird gesondert behandelt. [8] Zieht man dagegen das Preußische Hebammenlehrbuch von 1892 zu Rate, so findet sich im Kapitel zur Krankenpflege hinter den kühlenden und wärmenden Umschlägen in § 336 noch „Das Schröpfen und Blutegelsetzen“. Es handelt sich hier um pflegerische Tätigkeiten, die „nur auf Verordnung des Arztes“ vorgenommen werden dürfen. [9] Diese in den 1890er Jahren noch gültigen Praktiken scheinen auf Therapiekonzepte der Humoralpathologie zurückzuverweisen (hier: die Blutentziehung als sowohl reinigende wie kühlende Therapie). Gleichzeitig dokumentiert die Festschrift „Deutsches Gesundheitswesen“ von 1890, dass am Ende des 19. Jahrhunderts die Gesundheitsversorgung der ländlichen Bevölkerung noch arbeitsteilig durch nicht-ärztliche Heilkundige geleistet wurde: „Die Hebammen sind auch zur Ausübung der kleinen Chirurgie, Klystiersetzen, Schröpfen, Katheterisieren, bei Frauen berechtigt.“ [10] Die Schröpfköpfe und die mit ihnen überlieferte Geschichte über Bronisława Sloma dokumentieren somit eine Praktik, die während der Zeit ihrer eigenen Tätigkeit offensichtlich als pflegerische Tätigkeit auch von Hebammen weiterhin ausgeübt wurde, die aber dem Hebammen-Lehrbuch der 1920er Jahre schon nicht mehr zu entnehmen ist.

Am 5.2.1922 wurde Bronisława Sloma Mutter. Ihre Tochter Brigitte erlernte als junge Frau den Beruf der Krankenschwester im städtischen Krankenhaus von Gliwice (damals Gleiwitz), wo sie nach ihrer Ausbildung auch arbeitete. Als 1945 dann wiederum deren Tochter Maria (die Objektspenderin) geboren wurde, musste sie die Arbeit im Krankenhaus aufgeben und begann als Arzthelferin in der Gleiwitzer Arztpraxis eines Dr. Zieliński, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sie auch wohnte. Sie begleitete ihn bei Hausbesuchen, versorgte aber Patienten und Patientinnen auch eigenständig ambulant, wobei sie Verbände wechselte, Spritzen setzte, schröpfte und mit dem Hochfrequenzstrahlapparat behandelte. Bei der bereits erwähnten Übersiedelung im Jahr 1958 begleiteten der HFS-Apparat im kleinen Koffer sowie die Schröpfköpfe die Familie nach Westdeutschland. [11] Als die nächste Generation (die Objektspenderin) sich dann in Mespelbrunn im bayerischen Spessart ansiedelte, zog die Mutter Brigitte Keil mit dorthin, erneut den HFS-Apparat und die Schröpfköpfe im Gepäck. Die Familiengeschichte weiß, dass Brigitte Keil, die 2009 starb, bis Ende der 1980er Jahre in ihrer näheren Umgebung Leute mit ihren Schröpfköpfen behandelte.

3. 3 Schröpfkopf und HFS-Apparat – Hybride Objekte?

Karen Nolte hat in ihrer Untersuchung zu Objekten der Pflege in Anschluss an Margarete Sandelowskis Formulierung der „hybrid practices“ den Begriff der „hybriden Objekte“ geprägt. [12] Sie versteht darunter Dinge, deren Handhabung nicht einer spezifischen Berufstätigkeit zuzuordnen sind, sondern die die Grenzen ärztlichen, pflegerischen und laienmedizinischen Handelns verschwimmen lassen. Methodisch ist dieser Begriff sehr wertvoll, warnt er doch davor, durch eine vorschnelle Zuordnung historischer Objekte eine unbewusste Selbstbegrenzung in der Recherche vorzunehmen. Zu sehen war dies schon am Beispiel der Hebamme Sloma. Ihre Schröpftätigkeit ist durch die mündliche Überlieferung zu den untersuchten Objekten bezeugt und fordert somit eine Erklärung; ohne die Objekte mit ihrer Geschichte hätte die Forschungsfrage gar nicht existiert, da selbst bereits vorhandene Quellenkenntnisse zum Hebammenwesen im 20. Jahrhundert nicht auf die Verbindung von Hebammentätigkeit und Schröpfköpfen geführt hätten. Mindestens genauso interessant zeigt sich die „Grenzverschiebung“ am Beispiel des HFS-Apparats, der als Objekt der Pflege bislang wohl auch deswegen nicht wahrgenommen wurde, weil er in der Forschung stets in von ärztlicher Optik dominierte Diskurse eingeordnet wurde. Wieder ist es die mündliche Überlieferung zum Objekt, die diese Festlegung sprengt.

Der deutschsprachige Wikipedia-Artikel ist angelegt unter der englischen Überschrift „Violet Wand“ [13] und wartet nach knappen Worten zu technischer, chronologischer und nutzungsbezogener Einordnung unvermittelt mit der Information auf, dass „seit den 1990er Jahren […] die Geräte auch zur erotischen Elektrostimulation verwendet“ werden. [14] Der Link auf die englischsprachige Version des Artikels aktiviert eine Weiterleitung nicht etwa zu der existierenden Seite „Violet Ray“  [15], sondern zu der Seite „Erotic electrostimulation“, auf der der ursprüngliche Artikel „violet wand“ nur noch als kurzer Unterabschnitt von fünf Sätzen existiert, der zudem von jeglicher historischer Information befreit ist. [16] Diese vielsagende Verlagerung des Interesses in der digitalen Wissenswelt entspricht dem populärwissenschaftlichen Blick auf die HFS-Apparate. Sie werden gerne in überheblich-fortschrittsgeschichtlicher Perspektive und, mit (in)direktem Verweis auf oben erwähnte Verwendung, auf dem Niveau des augenzwinkernden Herrenwitzes als überholte Torheiten früherer Generationen dargestellt. [17] Die medizinhistorische Forschung enthält sich gewöhnlich solcher Wertungen und Assoziationen. Gleichwohl bewahrt auch eine fundierte historische Kontextualisierung nicht immer vor (unbewussten) Urteilen. Bei den HFS-Apparaten hat dies wohl vor allem damit zu tun, dass zwei Stimmen die Quellenüberlieferung dominieren und so auch vorrangig Aufmerksamkeit in der Forschung erfuhren: einerseits die berufspolitisch motivierte ärztliche Polemik gegen das Kurpfuschertum, andererseits die kommerzielle Vermarktung der HFS-Apparate als Allheilmittel. Die Figur des Valentin Zeileis, der Ende der 1920er Jahre in Oberösterreich Patienten und Patientinnen zu Hunderten in abgedunkelten Räumen mit seinem leuchtenden „Diagnosestab“ und große Lichtbögen schlagenden Hochfrequenzapparaten behandelte, stellte eine wahre Kristallisationsfigur unter den „Wunderheilern“ und „Kurpfuschern“ dar, mit denen sich die Ärzteschaft in der damaligen Zeit der „Krise der Medizin“ andauernde Gefechte lieferte. [18] Die Stimmen der Ärzte dagegen, die (z.T. aus der Erfahrung ihrer eigenen Praxis heraus) die HFS-Apparate als durchaus ernstzunehmende Therapiemittel verteidigten, wurden wenig beachtet – sowohl in der damaligen Zeit als auch in der medizinhistorischen Forschung seitdem. Gleichzeitig existieren noch heute zu den HFS-Geräten viele Broschüren und Gebrauchsanleitungen, die sich an Kundschaft richteten, denen der Heimgebrauch der mit lukrativen Patenten belegten Geräte nahegebracht werden sollte. Die unspezifische Vielzahl von Beschwerden, für die hier Linderung beschrieben wird, sowie die große Zahl zitierter „zufriedener“ Benutzer und Benutzerinnen weckt Skepsis. Sie sollte jedoch nicht das Maß überschreiten, das diesen Quellen in ihrer Eigenschaft als Werbung ohnehin entgegenzubringen ist. Es ist auffällig, dass Henrik Eßler, der sich als erster intensiver mit dem HFS-Apparat als Objekt auseinandergesetzt hat, sich offenbar der Versuchung nicht entziehen konnte, den Blickwinkel (der Mehrheit) der zeitgenössischen Ärzteschaft auf das Kurpfuschertum und suggestionswillige Patienten und Patientinnen einzunehmen. Er thematisiert die „angebliche Wirkung“ der Apparate und formuliert als These, dass die von ihnen ausgehenden audiovisuellen Reize die Menschen „von der versprochenen Heilwirkung [überzeugten]“. Wenn er von „abgedunkelten Räumen“ und „optischem Spektakel“ spricht und zu guter Letzt „die mystisch anmutende Gesamterscheinung“ der Behandlung und ihre „suggestive Wirkung“ betont, erscheint diese Wortwahl wie ein Echo der Zeileis-Konflikte. [19] Die Stimmen der Behandelten – gleich ob die des Werbematerials oder anderer potentieller Quellen – können bei einer solchen vorab getroffenen Festlegung freilich nur noch als Beleg unkritischer Gutgläubigkeit taugen.

Vor diesem Hintergrund ist die mündliche Überlieferung zu den Apparaten als Kontrastfolie besonders wertvoll. Ein erster Bericht, der sich nicht direkt auf unser Objekt bezieht, aber hinsichtlich der „hybriden“ Natur solcher Apparate interessant ist, stammt von dem Sohn des letzten Baders im fränkischen Ort Hagenbüchach bei Nürnberg. [20] Heinz Wurzer erzählt hier von der Tätigkeit seines Vaters in der Nachkriegszeit in einem Pflegeheim der Diakonie:

442 Zeitzeuge: äh, ja, unbedingt, mein vater war hausmeister im jakoberhaus, äh des war

443 eine alten, ein altenheim von der inneren mission und daher mit dem doktor baschke

444 zusammen, hat der da viele leute behandelt drinnen, mit seiner hochfrequenz für

445 nervenschmerzen und auch für so leichte sachen, da hat er immer wieder erzählt davon,

446 dass er da, was weiß, zahnbehandlungen gemacht hat, oder hautbehandlungen und so

447 weiter {RR in Nürnberg?} neinnein in hagenbüchach, in diesem jakoberhaus, da war das

448 altenheim von der inneren mission und da war er hausmeister drin #00:30:47-2#

449 RR: und da hat er mit dem arzt zusammengearbeitet? #00:30:49-0#

450 Zeitzeuge: ja aber nicht miteinander, sondern der arzt hat gesagt, horch des kannst du

451 machen oder umgekehrt gewesen, dass er gar kein, oder die schwester theodorlinde,

452 weiß ich heute noch, riesige schwester, die hat gesagt, karl des kannst du selber auch

453 machen, wenn einer leichte sachen gehabt hat irgendwie, aber da war ich nie dabei, aber

454 da hat er viel behandelt in den altenheimen #00:31:16-5#

455 RR: also hat er seinen baderberuf doch noch weiter ausgeführt #00:31:18-8#

456 Zeitzeuge: weiterausgeführt, naja des war ja auch gleich nach dem krieg […]

Abb. 6: Die von der Spenderin genannte Kamm-Elektrode (Detail)

Karl Wurzer, geboren 1902 und seiner Ausbildung nach Friseur und approbierter Bader, hatte bis zur Zerstörung seines Friseurgeschäfts durch einen Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg im dortigen Hinterzimmer als Bader praktiziert und zudem mit dem Fahrrad Hausbesuche in den umliegenden fünf Dörfern gemacht. Er nahm Aderlässe vor (v.a. bei Bluthochdruck) und behandelte häufig Furunkulosen, woran sich sein Sohn besonders gut erinnert, da er als Kind die Eiterschüsseln halten musste. Diese Ausübung der Kleinen Chirurgie ergänzte der Bader schon damals durch die Behandlung mit dem HFS-Apparat („er hat dann auch mit einer hochfrequenz nervenschädigungen, schmerzen behandelt“). Nach der Zerstörung des Geschäfts arbeitete Wurzer im erwähnten Pflegeheim, und auch hier kam ein HFS-Apparat zum Einsatz zur Behandlung „leichter Sachen“: Haut- und Zahnbehandlungen, dazu erneut „Nervenschmerzen“. Diese Behandlungen wurden ihm interessanterweise von einem Arzt direkt aufgetragen oder von der Krankenschwester im Pflegeheim, Schwester Theodorlinde, an ihn delegiert. Die Grenzen zwischen Bader- und Pflegetätigkeit verschwimmen hier. Dass die HFS-Behandlung jedoch tatsächlich eine Pflegetätigkeit darstellte, bestätigt wiederum eine handschriftliche Notiz, die die Objektspenderin unserem hier vorgestellten Koffer beilegte: „Ich überlasse Ihnen dieses Elektrogerät? Name (?). Meine Mutter (Krankenschwester) hatte es bis 1948 regelmäßig benutzt bei Hausbesuchen mit einem Arzt in Schlesien Gleiwitz. Angewendet bei Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen (ein Kamm ist dabei).“ Wie bei Wurzer findet sich die Schmerzbehandlung mit dem Gerät sowie die diesbezügliche ärztliche Anordnung. Die ausdrückliche Erwähnung der Kamm-Elektrode zur Linderung von Kopfschmerzen lässt, wie die Schröpfköpfe, erneut an potentielle Überschneidungen der Pflegetätigkeit mit der von Bader-Friseuren denken. [21]

4. 4 Schröpfen und „Strahlen“ als Pflegetätigkeit

Henrik Eßler weist zu Recht darauf hin, dass Objekte ohne eine Überlieferungsgeschichte oft schwer zum „Sprechen“ zu bringen sind. [22] Wäre unser Objekt jetzt ohne seine Überlieferungsgeschichte ebenso stumm? Sein Generatoreinsatz ist, wie bereits erwähnt, aus dem Koffer herausnehmbar. Es findet sich an seiner Rückseite eine kleine ausklappbare dreieckige Öse, wie an Bilderrahmen üblich, so dass man den HFS-Apprarat offensichtlich auch an einem Haken an die Wand hängen konnte. Des Weiteren ist am Einsatz ein gebogenes Drahtgestell angebracht, das im rechten Winkel nach vorne geklappt werden kann und dessen Ausbuchtung genau so geformt ist, dass man sie als Ablage für den Elektrodenhalter benutzen kann.

Abb. 7: Der Generatoreinsatz mit abgelegter Elektrodenhalterung

Während der Koffer selbst im Kontext des Privathaushaltes wie jedes andere Reisegepäck unauffällig auf dem Schrank, unter dem Bett oder anderen Stauräumen gelagert werden konnte, scheint der teil-statische Aufbau – mit aufgehängtem Generator, darauf abgelegtem Halter und einem dann für den Elektrodenkoffer nötigen Abstelltisch – für einen privaten Wohnraum ein eher ungewöhnliches Accessoire, zumal in Zeiten, in denen Wohnhäuser noch nicht so üppig mit Steckdosen ausgestattet waren wie es heute der Fall ist. Bei solchen Apparaten ist nun zuweilen, auch bei sonst spärlicher Überlieferungslage, ihre Herkunft aus Arztpraxen oder Krankenhäusern belegt. [23] Auch in der Würzburger Sammlung stammt der zweite vorhandene HFS-Apparat – ein viel einfacheres Modell der Firma Radiolux mit nur vier Elektroden – aus der Praxis eines Allgemeinarztes. [24] Hier oder in einem Krankenhaus, wo Behandlungen in Reihe an einem festgelegten Ort stattfanden, scheint die feste Installation mehr Sinn zu geben. Tatsächlich findet in den Werbekatalogen oft nicht nur der behandelnde Laie, sondern auch der Arzt Erwähnung, und dies nicht nur als Adressat, sondern auch unter den „zufriedenen Stimmen“. [25] Tut man dies nicht als rein werbespezifische Zutat ab, sondern verfolgt die Spur in die Arztpraxen und Kliniken, so stößt man in den Lehrbüchern zur Elektrotherapie schnell auf umfangreiche Bibliographien, die belegen, dass die klinischen Erfahrungen mit der Hochfrequenztherapie bereits seit den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts von vielen verschiedenen Fachrichtungen der Medizin ausführlich und durchaus affirmierend diskutiert wurden.

Abb. 8: Abbildung einer von Pflegepersonal betreuten Diathermie-Abteilung mit Großapparat.

Der allgemeinere Ansatz, mittels dieser Therapie das vegetative Nervensystem zu stabilisieren und damit auch chronische Folgeleiden behandeln zu können, [26] steht hier neben spezifischeren Behandlungen wie der des Würzburger Gynäkologen Carl Joseph Gauß, der mit Hilfe des Kleinapparats „Inviktus“[!] und einer in Harnröhre und Gebärmutterhals einzuführenden Elektrode Patientinnen mit Gonorrhoe behandelte. [27] Der Wiener Arzt Josef Kowarschik fasste die Indikationen der Behandlung in seinem Lehrbuch zur Elektrotherapie zusammen: „verschiedenste Nerven- und Muskelschmerzen“ (nervöser Kopfschmerz, Interkostalneuralgien, Meralgien, Tarsalgien, Achillodynien), außerdem Herzschmerz oder -druck sowie Bluthochdruck (also tonusbedingte Symptome) sowie juckende Hautkrankheiten und schlechtheilende Wunden. [28] Nicht nur bei Kowarschik liest man, dass die Kliniker eigentlich nicht wussten, warum die Therapie wirkte („Hier stehen wir vor einem Rätsel“). Sie wird, interessanterweise mit Rückbindung an „die uralte empirische Erfahrung und frühere Zeiten“, wie Vesikantien und Blasenpflaster als therapeutischer Hautreiz und damit Teil der physikalischen Therapie verstanden. [29] Hiermit fällt sie in dieselbe Behandlungskategorie wie auch die Schröpfköpfe, bezüglich derer Karen Nolte bereits herausgearbeitet hat, dass sie mit der Begründung eben einer solchen Reizwirkung und der daraus folgenden Förderung von Durchblutung und Entgiftung zum Einsatz kamen. [30]

Die physikalische Therapie wiederum war ein pflegespezifischer Bereich, und dass die HFS-Apparate genau wie die Schröpfköpfe hier zum Einsatz kamen, lässt sich Krankenpflegelehrbüchern der Zeit entnehmen. Unter den physikalischen Therapien ist es hier die Wärmebehandlung durch Diathermie, der die Apparate gewöhnlich zugeordnet werden. Abbildungen in besagten Büchern zeigen jedoch meist Großapparate, wie sie in Kliniken und Krankenhäusern zu finden waren.

Abb. 9: Behandlung mit einer an einen Groß-Apparat angeschlossenen Roller-Elektrode

Abb. 10: Velmag Frequenta – Handapparat mit aufgesteckter Roller-Elektrode

Kowarschik führt allerdings in seinem Kapitel zur „Behandlung mit Wechselstrom höherer Frequenz“ auch „kleine Hochfrequenzapparate“ an und weist auf die geringeren Anschaffungskosten gegenüber einem großen Induktor oder Wechselstromgenerator hin. Diese Kleinapparate seien ausschließlich für die lokale Behandlung mit Elektroden gedacht (während die Großapparate auch die Ganzkörperbehandlung bspw. in einem Kondensatorbett erlaubten) und dafür auch hinreichend („so genügen sie den meisten Ansprüchen“). Namentlich nennt er die HF-Apparate Radiolux (wie den in der Würzburger Sammlung, s.o.), Radiostat und Radiopan. [31] Die Anweisungen für die Diathermie-Behandlung in den Krankenpflegelehrbüchern bezogen sich somit eher auf deren Anwendung im Krankenhauskontext (den Ort der Pflegeausbildung), wo die großen Apparate standen. Die Schwestern wurden ermahnt, die Technik des Elektrisierens sei „allerdings nicht ganz leicht zu erlernen und muß vom Arzt genau überwacht werden.“ [32] Die kleinen Apparate hatten nun nicht nur den Vorteil, dass sie eingesetzt werden konnten, wo immer Elektrizität verfügbar war, sie bargen durch ihre schwächere Leistung auch keinerlei Verletzungsgefahr, weshalb sie sowohl in der ambulanten Pflege wie im Privaten bedenkenlos angewendet werden konnten.

5. 5 Zusammenfassung

Der HFS-Apparat öffnet als hybrides Objekt den Blick in viele Richtungen: in die der Medizin, der Pflege und der sogenannten Laienbehandlung. [33] Aus medizinischer Sicht erfüllte er zum Teil dieselbe Funktion wie das Schröpfen (Hautreiz) oder der Aderlaß (Reduktion von Bluthochdruck), beides ursprünglich Praktiken erst der Bader, dann auch der Krankenschwestern (und damit z.T. wiederum auch von Hebammen, wie zu zeigen war). Sein wichtigstes Anwendungsgebiet dürfte jedoch die Behandlung von Schmerzen gewesen sein, die u.a. auch durch die Kriegsverletzungen der beiden Weltkriege erst recht ein wesentliches Feld der physikalischen Therapie geworden war. [34] Die hier vorgestellten Ergebnisse in größere Diskurse der Selbstbehandlung, Technikeuphorie und die „Krise der Medizin“ einzubinden, erweitert die Perspektive, darf aber die Tatsache nicht weiterhin unbeachtet lassen, dass der Apparat offensichtlich viele Jahrzehnte zum Behandlungsalltag nicht nur im Privathaushalt, sondern eben auch in Arztpraxen und Krankenhäusern gehörte. In den 1950er Jahren verschwand der Apparat allmählich aus der medizinischen Diskussion und dann auch aus dem Vertrieb. Ein Grund dürfte tatsächlich, wie Eßler anmerkt, das Aufkommen der Antibiotika sein; aber nicht, weil damit das „Vertrauen in die Schulmedizin“ wuchs und das Lifestyle-Produkt HFS-Apparat seinen „modischen Charakter“ verlor, [35] sondern weil die antibakterielle Wirkung des Ozons, das die Geräte bei der Oberflächenbehandlung (z.B. von Hautkrankheiten) oder der Inhalationsanwendnung (bei Tuberkulose etc.) freisetzten, seine Bedeutung als Therapeutikum verlor. Es ist auch nicht zu unterschätzen, wie schwer die Medizin sich bis heute mit Behandlungen tut, die empirisch nachweisbare Heilerfolge aufweisen, zu denen aber eine Theoriebildung aus dem eigenen Denkgebäude heraus nicht gelingt. [36]

Isabel Atzl hat am Beispiel des Fieberthermometers gezeigt, wie wichtig es ist, gerade bei den Objekten genau hinzuschauen, die in der Welt der Medizin als weitgehend banale Gebrauchsgegenstände gelten. [37] Bei den HFS-Apparaten dürften deswegen, obgleich gerade die kompletten großen, mehrteiligen Exemplare besonders schöne Ausstellungsstücke abgeben, für die zukünftige Forschung die unvollständig abgegebenen Koffer ungleich interessanter sein. In unserem Koffer fehlen sechs Elektroden. Da die Spannklammern noch immer festen Halt bieten, ist davon auszugehen, dass sie verloren oder kaputtgingen, als sie für die Benutzung entnommen wurden. In Abgleich mit den im Katalog aufgelisteten Elektrodennummern der Originalausstattung fehlen: die Zungenelektrode für die Behandlung von Aphthen u. ä. im Mundbereich; die Metallelektrode, die zur allgemeinen Ganzkörperbehandlung eingesetzt wurde, insbesondere bei gleichzeitiger Massage im Gesichts- und Kopfbereich; die Nackenelektrode, die bei Kopfschmerz eingesetzt wurde; die Herz-Elektrode; die Elektrode zur Warzenentfernung; schließlich die wichtigste der Großelektroden, die Verstärkerelektrode, die eine besondere Tiefenwirkung der Hochfrequenz erzielen sollte und meist bei Schmerzbehandlung in Kombination mit der Flächenelektrode zum Einsatz kam. Außerdem fehlt der Gummiball, mit dem bei der Inhalationsbehandlung mit Ozon gepumpt wurde. [38] Man könnte also folgern, dass diese Behandlungen mit dem HFS-Apparat durchgeführt wurden. Auffälligerweise ist die Elektrode zur Rückgratbehandlung noch vorhanden, deren v-förmiger Kopf rechts und links der Wirbelsäule aufgesetzt wurde. Aber ihn brauchte die Krankenschwester Brigitte Keil vielleicht auch gar nicht – dafür hatte sie in ihrer Tasche ja ihre Schröpfköpfe.

6. Objektquellen

Institut für Geschichte der Medizin [Universität Würzburg], Medizinhistorische Sammlungen:

Sign. 2021_1_ Kostyszyn_01: Hochfrequenzstrahlapparat „Frequenta“ des Herstellers Velmag (Vereinigte Fabriken elektrischer Apparate), Modell G, Herstellungsjahr: ca. 1928.

Sign. 2021_2_ Kostyszyn_02: Gläserne Schröpfköpfe, 19 Stück, Herstellungsjahr: vor 1948.

Sign. 2018_06_Zahn_01: Hochfrequenzstrahlapparat „Radiolux“, Hersteller unbek., Herstellungsjahr: vor 1928.

7. Textquellen:

O. Verf.: Preußisches Hebammenlehrbuch, herausgegeben im Auftrage des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin 1892.

Bauer/Faulhaber/Kober/Krapf: Der Hochfrequenzstrahlapparat. Sein Wesen und seine Anwendung. Anleitung zur Behandlung mit Hochfrequenzströmen. Leipzig 1928.

Fischer/Groß/Krick: Hand- und Lehrbuch der Krankenpflege: Praktische Krankenpflege. Stuttgart 1949.

Gauß, Carl Joseph: Eine neue Behandlungsmethode der weiblichen Gonorrhoe. In: Zentralblatt für Gynäkologie 41 (1917), S. 1017–1029.

Grandauer, Karl: Die therapeutische Anwendung des Hochfrequenzstroms – eine Umstimmungsbehandlung. München 1930.

Hammerschlag, Sigfrid/Leopold Langstein/ Artur Ostermann: Hebammenlehrbuch, herausgegeben im Auftrag des Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt. Berlin 1928.

Hübner, Hans: Heilstrahlen oder Heilschwindel. Wie kann Zeileis überwunden werden? München 1930.

Kowarschik, Josef: Elektrotherapie. Ein Lehrbuch. Berlin 1929.

Kowarschik, Josef: Physikalische Therapie. Wien 1948.

Patalong, Frank: Der viktorianische Vibrator. Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik. Köln 2012.

Pistor, Moritz: Deutsches Gesundheitswesen. Festschrift zum X. Internationalen Medizinischen Kongress. Berlin 1890.

8. Forschungsliteratur:

Atzl, Isabel: Pflegedinge und Pflegealltag im Krankenhaus. In: Historia Hospitalium 30 (2016/17), S. 117–141.

Eßler, Henrik: Auf der Frequenz der Zeit: Elektrotherapie als medizinische Selbsttechnik im 20. Jahrhundert. In: Virus 19 (2020) [Themenheft: Objekte als Quellen der Medizingeschichte], S. 155–179.

Körner, Daniel: Die Wunderheiler der Weimarer Republik. Protagonisten, Heilmethoden und Stellung innerhalb des Gesundheitsbetriebs. Freiburg 2012.

Löffelbein, Nils: Nerven unter Strom – Sinnüberschuss und Sinnreduktion von „Neurasthenie-Objekten“ in Deutschland (1880–1930). In: Virus 19 (2020) [Themenheft: Objekte als Quellen der Medizingeschichte], S.181–207.

Nolte, Karen: Schröpfkopf, Spritze und „stumme Schwester“ – „Hybride Objekte“ und „Grenzobjekte“ zwischen Pflege und Medizin. In: Virus 19 (2020) [Themenheft: Objekte als Quellen der Medizingeschichte], S. 129–154.

Schlegelmilch, Sabine: Wissenschaftliche Astrologie im medizinischen Alltag der Frühen Neuzeit. In: Feist, Marie-Therese/Michael Lackner/Ulrike Ludwig (Hg.): Zeichen der Zukunft – Wahrsagen in Ostasien und Europa / Signs of the Future – Divination in East Asia and Europe. Nürnberg 2021, S. 244–251.

Stolz, Susanna: Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur: Folge und Ausdruck historischen Körperverständnisses. Marburg 1992.

Unterkircher, Alois/Iris Ritzmann: Unlicensed Practice: A Lay Healer in Rural Switzerland. In: Dinges, Martin/Kay-Peter Jankrift/Sabine Schlegelmilch (Hg.): Medical Practice (1600–1900): Physicians and their Patients. Leiden/Boston 2016, S. 230–252.



[1] Digitalisat online: http://www.spickelmir.de/index.php/downloads?task=download.send&id=26&catid=6&m=0 (Zugriff 13.05.2021). Velmag veröffentlichte 1929 diesen Werbekatalog mit vier Modellen (A,D,E,G) verschiedener Ausstattung. Der Koffer G enthält die umfangreichste Ausstattung (20 Elektroden). Da im Katalog auch von einem störfreien „Modell 1929“ die Rede ist, dürfte Velmag den Ursprungskatalog von 1928 auch für die Bewerbung späterer Modelle benutzt haben.

[2] Vgl. Nolte 2020, S. 135.

[3] Vgl. Eßler 2020, S. 156–158.

[4] Vgl. Eßler 2020, S. 162.

[5] Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich der Spenderin Maria Kostyszyn, die bereit war, für diesen Artikel ihre Erinnerung zu den Objekten sowie ein Foto ihrer Großmutter bereitzustellen. Die Informationen wurden im Mai 2021 per Email mitgeteilt und zusammen mit dem Konvolut archiviert (Medizinhistorische Sammlungen, Sign. 2021_1_ Kostyszyn).

[6] Der Einzugsradius ihrer Hebammentätigkeit ist nicht mehr festzustellen, sie scheint aber (auch?) die dörfliche Umgebung versorgt zu haben, denn die Familiengeschichte verbindet mit ihr die Bezeichnung „Dorfhebamme“ und weiß als überlieferte Besonderheit zu berichten, dass sie zu einzelnen Einsätzen mit der Kutsche abgeholt wurde.

[7] Vgl. Hammerschlag/Langstein/Ostermann 1928, S. 45. Im Vorwort dieser hier benutzten fünften Auflage wird betont, dass das Kapitel zur Krankenpflege gegenüber der vorherigen Auflage von 1920 nicht verändert wurde, mit der B.S. ausgebildet worden sein dürfte.

[8] Vgl. Hammerschlag/Langstein/Ostermann 1928, S. 68–75.

[9] Vgl. Preußisches Hebammenlehrbuch 1892, S. 257. Diese Einschränkung dokumentiert die im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmende Kontrolle nicht-ärztlicher Heilberufe: vgl. Unterkircher/Ritzmann 2016, bes. S. 244-245; zur Praxis der Bader gehörte das Schröpfen seit Jahrhunderten: vgl. Schlegelmilch 2021, S. 244–247.

[10] Vgl. Pistor 1890, S. 167. Vgl. zur Praktik des Schröpfens in der Krankenpflege des 19. Jahrhunderts – Pflege oder „kleine Chirurgie“? – die Untersuchung von Nolte 2020, S. 132–135.

[11] Es existieren ähnliche Belege, dass Hochfrequenzapparate in der handlichen Kofferform Familien auf ihren Ortswechseln, auch in Kriegssituationen, begleiteten: vgl. Eßler 2020, S. 171.

[12] Vgl. Nolte 2020, S. 130.

[13] Die englische Bezeichnung „violet wand“ (violetter Zauberstab) leitet sich von dem optischen Effekt des Gases in den Glaselektroden her, die leuchten, wenn sie in die Halterung eingesteckt und somit unter Strom gesetzt werden, sowie von der elektrischen Entladung, die über die Glaselektroden in farbigen Blitzen geschieht und dabei auch Ozon freisetzt. Es existieren online verschiedene Videos, die einen HFS-Apparat in Benutzung zeigen und damit auch das spezifische Geräusch wiedergeben, dass die Blitzentladung („Fulguration“) erzeugt; s. z.B. https://www.youtube.com/watch?v=rZ5HiCZsIUA.

[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Violet_Wand (Version 6. Dezember 2020, 1:21 Uhr).

[15] https://en.wikipedia.org/wiki/Violet_ray (Version 17. September 2021, 13:25 Uhr).

[17] Ein Beispiel hierfür bietet u.a. das Buch von Frank Patalong, das die Wertung schon im (verkaufsfördernden) Titel trägt („Der viktorianische Vibrator. Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik“) und historische Quellen gerne zugrunde seines Grundnarrativs umdeutet: s. z.B. auch die Erläuterung des HFS-Apparats „Frequenta“, Patalong 2012, S. 182–186.

[18] Vgl. Körner 2012, S. 41–57.

[19] Vgl. Eßler 2020, S. 159. In die gleiche Richtung geht Löffelbein 2020, S. 191–192, der den „Sinnüberschuss“ der Apparate diskutiert.

[20] Der HFS-Apparat des Baders Karl Wurzer ist bis Dezember 2021 in der Ausstellung „Schwitzbaden, Schröpfen und Kurieren – das Baderwesen in Franken seit dem Spätmittelalter“ des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim zu sehen. Ich danke Dr. Susanne Grosser (wissenschaftl. Mitarbeiterin) und ihrem Kollegen Ralf Rossmeissl (Museumsarchivar), die die Ausstellung vorbereitet haben, für die Überlassung des transkribierten Gesamtinterviews, aus dem die folgenden Zitate und Informationen entnommen sind. Das Gespräch mit Heinz Wurzer (geb. 10.10.1939 in Hagebüchach) wurde am 19.08.2019 von Ralf Rossmeissl geführt; die hier verwendeten Zitate sind gemäß der Form des vorliegenden Arbeitstransskripts wiedergegeben.

[21] Die Ableitung des Friseur-Handwerks aus dem der Bader zeigt Stolz in ihrer umfangreichen Monographie „Die Handwerke des Körpers“ (1992) auf, in der sie die Tätigkeit des Baders sowohl in den Hygiene-Diskurs des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts (Waschen von Körpern und Haaren) wie den der medizinischen Flächenversorgung einordnet (Bader als „Heildiener“ der Ärzte), vgl. bes. S. 273–279. Im Bereich dieser „Heildiener“, die sogar die Nothilfe bei einer Geburt beherrschen sollten, ergeben sich automatisch Überschneidungen mit den Kompetenzen von Krankenschwestern und Hebammen, wie sie die hier vorgestellten Objekte belegen.

[22] Vgl. Eßler 2020, S. 178.

[23] Vgl. Eßler 2020, S. 172, der die Provenienz aus Praxen niedergelassener Ärzte und Ärztinnen und „Physiotherapiepraxen“ anspricht.

[24] Institut für Geschichte der Medizin (Universität Würzburg), Medizinhistorische Sammlungen, Sign. 2018-06_Zahn_01.

[25] So formuliert auch das von vier Ärzten verfasste Anleitungsbuch, das die Velmag 1928 separat zum Werbekatalog veröffentlichte: „Der heutige moderne, handliche Hochfrequenz-Bestrahlungsapparat hat sich beim Arzt und in Familien als Helfer so ausgezeichnet bewährt, daß er einer übertreibenden und daher verwerflichen Reklame wirklich entbehren kann. Das vorliegende Buch soll dem Arzt und Laien in gleicher Weise dienen.“ (Bauer/Faulhaber/Kober/Krapf 1928, S. 6). Unter den Dankschreiben im zugehörigen Katalog (s. Anm. 1, dort S. 6–7) finden sich neben denen eines niedergelassenen Nervenarztes und zweier Zahnärzte auch das einer Betriebskrankenkasse, das „bei trockener Flechte, Rheumatismus, Ischias […] die besten Erfolge“ bestätigt.

[26] Vgl. bes. Grandauer 1930.

[27] Vgl. Gauß 1917, S. 1019. An Gauß’ Beispiel wird deutlich, dass es Kliniker waren, die die Spezialelektroden entwickelten. Er spricht seiner Elektrode eine bakterizide Wirkung zu, führt diese allerdings auf das Licht zurück.

[28] Vgl. Kowarschik 1929, S. 204–205.

[29] Vgl. Kowarschik 1929, S. 204 (auch voriges Zitat).

[30] Vgl. Nolte 2020, S. 134; vgl. auch Kowarschik 1948, S. 238: „Hautreize werden als Revulsiva und Derivantia mit Hilfe von Schröpfköpfen, Glüheisen, Akupunktue, Vesikantien, Pustulantien und anderen Mitteln seit Jahrtausenden mit bestem Erfolg verabfolgt.“

[31] Vgl. Kowarschik 1929, S. 82–83.

[32] Vgl. Fischer/Groß/Krick 1949, S. 198; textidentisch noch in der 6. Auflage von 1957, S. 258.

[33] Dieser Begriff schließt neben Privatpersonen oft auch das Baderhandwerk mit ein, obwohl es staatlicher Kontrolle in Form von offiziellen Prüfungen unterlag.

[34] Vgl. Kowarschik 1948, S. IV.

[35] Eßler 2020, S. 177.

[36] Zeitgenössische Kritik an einer fachspezifischen Denkfaulheit findet sich z.B. bei Hübner 1930, S. 15: „Und so wird denn meist auch von den Gegnern der Hochfrequenzbehandlung – Gegner sind eigentlich nur solche Ärzte, die sich nicht die Mühe gemacht haben, sich über sie zu orientieren – immer nur behauptet, sie sei für den Organismus irrelevant. Es liegt bei dieser Anschauung wohl der Analogieschluß vor, daß, da der millionenfache Wechsel der Stromrichtung in der Zeiteinheit nicht empfunden wird, nun wohl eine Einwirkung auf die Organe und auf die Zellen des Körpers auch nicht empfunden werden könne.“

[37] Vgl. Atzl 2017, hier bes. S. 131 zur händischen Markierung von Fieberthermometern.

[38] Während der Werbekatalog (s. Anm. 1) die Nummern der im Koffer enthaltenen Elektroden angibt, werden sie im Anleitungsbuch mit ihren Nummern abgebildet und benannt; es enthält zusätzlich zum ausführlicheren Textteil auch eine tabellarische Übersicht, bei welchen Leiden welche Elektrode wie lange, wie oft und auf welche Weise zum Einsatz kommen sollte: s. Bauer/Faulhaber/Kober/Krapf 1928, S. 110–121.

Fulltext

License

Any party may pass on this Work by electronic means and make it available for download under the terms and conditions of the Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0). The text of the license may be accessed and retrieved at https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.

info

European Journal for Nursing
History and Ethics (ENHE)

Official Publication of the
European Association for
the History of Nursing

ISSN 2628-4375
Navigation